Wien, 5. April 1900.
Ein junger Mann in Uniform.
Eingezwängt zwischen bohrender Langeweile und flüchtigem Luxus.
Voll Sehnsucht nach einer Herausforderung, nach einer Bewährungsprobe, in Wahrheit nach Anerkennung.
Von der Weite der Welt zugleich fasziniert und eingeschüchtert.
Trotz seiner Jugend bereits freiwillig im beruhigenden Halt reaktionärer Autorität verfangen.
Ein Sinnbild seiner Generation und Zeit.
Eine erstaunlich milde Frühlingsnacht, die in seinem Tod enden muss.
Inside Lieutenant Gustl bedeutet E-kultur mit U-nterhaltungswert.
Wir verstehen Virtual Reality als möglichen Weg im narrativen Spannungsfeld zwischen Theater, Literatur und Film.
Darum produzieren wir Literatur & Bühnenstücke als immersives multimediales Erlebnis.
SCHNITZLERS LIEUTENANT GUSTL
Mit Leutnant Gustl leistete Arthur Schnitzler 1900 Pionierarbeit auf dem Feld der Literatur.
Geboren aus dem Geist der Psychoanalyse und Spiegel einer Zwischen-Zeit, in der die Spannungen des herannahenden Ersten Weltkrieges bereits deutlich spürbar sind, markiert Schnitzerls Novelle einen Wendepunkt des literarischen Erzählens:
Der Innere Monolog begründet eine neue Gattung, die die Zerrissenheit der Titelfigur aus der Innenperspektive erfahrbar macht und die LeserInnen unmittelbar in den Gedankenstrom des Protagonisten hineinzieht.
Leutnant Gustl erscheint erstmals 1900 in der Weihnachtsausgabe der Wiener Neuen Freien Presse und erschein 1901 im S. Fischer Verlag Berlin mit Zeichnungen von M. Coschell.
Mehr zur Novelle von Arthur Schnitzler
DIE INSZENIERUNG VON SEBASTIAN BRAUNEIS
Rechtzeitig zum Gedenkjahr 2018 – 100 Jahre Republik Österreich, 80 Jahre “Anschluss” – hat Sebastian Brauneis eine Theaterfassung der Novelle geschrieben, deren Besonderheit nicht zuletzt in der Figurensetzung liegt.
Die Rolle des Gustl spaltet Brauneis in zwei Figuren auf: ihn selbst und sein schattenhaftes Alter Ego. Durch die körperliche Trennung bzw. Dopplung der Figur befinden sich die Zusehenden – als Beobachtende und zugleich Teilnehmende – physisch »zwischen« den im Widerstreit befindlichen Persönlichkeitsanteilen. Die Dialektik der Figur tritt durch die Interaktion der beiden Darsteller deutlich zutage. Ihr Spiel ermöglicht es, den existentiellen Konflikt des Protagonisten viel präziser, schärfer und schizophrener herauszuarbeiten.
MIT VIRTUAL REALITY IM ZENTRUM DES INNEREN MONOLOGES
Damit diese Übertragung gelingt, bedient das Skript spielerisch die Einnahme multipler Perspektiven: Durch die VR-Brille schauen wir den Schauspielern wie in einem Theater zu. Der Vorhang öffnet sich…
INHALT – INSIDE LIEUTENANT GUSTL
Der Bäckermeister (Nicholas Ofzarek), Kontrahent des jungen Lieutnant Gustl, führt uns in die Welt des Geschehens ein. Durch den Blick in mehrere Dioramen lernen wir Gustl kennen, wissen von ihm zunächst nichts mehr als das abschätzige Urteil des Bäckermeisters.
Plötzlich befinden uns im selben Raum mit den Figuren, fast können wir sie berühren, stehen bisweilen genau zwischen ihnen. Die Figuren, das sind: Leutnant Gustl (Lukas Watzl) und sein Schatten (Christoph Radakovits), die schwitzend und bebend Gustls Schicksal nach dem fatalen Ehrverlust verhandeln.
Die körperliche Nähe zu den Schauspielern macht Emotionen Gustls erfahrbar, verwandelt den inneren Konflikt in einen physisch spürbaren. In der nächsten Einstellung finden wir uns in Gustl wieder, schauen durch seine Augen, erkennen uns als er im Spiegel, können womöglich sogar mit ihm sterben. Am Höhepunkt der Identifikation, dem Moment der absoluten Wahrheit, löst sich – ganz wie bei Schnitzler – das Problem per deus ex machina: Ein Knall katapultiert uns in den eigenen Körper zurück, den Bäckermeister trifft der Schlag und mit eben diesem Schlag löst sich Gustls Problem von selbst.
Die Übersetzung der Novelle in eine kommensurable VR-Experience erfordert zahlreiche narrative Shortcuts. Inhaltlich fokussieren wir auf die existentiellen Konflikte des Protagonisten, um die zentralen Themen und Motive der Erzählung in Einzelsequenzen emotional erlebbar zu machen. Im Sinne einer Auseinandersetzung mit der historischen Gewachsenheit des neuen Mediums bedienet sich diese VR Experience zahlreicher Zitate aus der Geschichte von Film und Theater – vom roten Vorhang über Dioramen bis hin zur Ästhetik des frühen Kinos.
Die Inszenierung versucht den bloßen Wow-Effekt visueller Überwältigung zu überwinden: Das Ziel dieser Arbeit ist es, den Einsatz der szenischen, darstellerischen und technischen Mittel so auszuloten, dass die ZuseherInnen eine emotional-körperliche Erfahrung machen und das szenische Geschehen zugleich gedanklich reflektieren.